Mittwoch, 22. November 2017

14 Tage hinter der Welt

14 Tage liegt sie nun zurück, die schlimme Nachricht vom Pankreaskarzinom.

Wenige Tage und eine Predigt später wusste ich, dass dieses Blog jetzt einen neuen Sinn bekommt. Hinter der Welt – das ist nicht der geografische Raum zwischen Fluss und Grenze, das ist auch nicht nur der metaphysische Raum hinter den Dingen; es ist jetzt für mich der Raum geworden zwischen Leben und Tod.

Vor 14 Tagen habe ich ihn betreten. Zuvor kannte ich ihn nur vom Hörensagen. Ich konnte es mir nicht wirklich vorstellen, wie es ist, wenn deine irdische Zukunft auf wenige Wochen, Monate oder Jahre eingedampft wird. Und du dir die himmlische Zukunft immer noch nicht wirklich vorstellen kannst.

Dabei gab es schon Ahnungen zuvor. Die Schmerzen und die Schwäche über Wochen und Monate hinweg, die lange nicht richtig diagnostiziert werden konnten, beunruhigten mich immer mehr. Und manchmal kam eine große Angst und Traurigkeit über mich.

Der 3. Oktober, Feiertag, war ein wunderschöner Herbsttag. Bis in den Vormittag hatte es geregnet, und dann kam die Sonne heraus, und ich machte mit meiner Frau einen Spaziergang in der Nähe von Hohnstein. Das Licht und die Farben waren unglaublich schön; ich habe seit langem mal wieder die Spiegelreflex mitgenommen.



Inmitten dieser herbstlichen Schönheit kamen mir die Tränen. Ich hatte das Gefühl: Die Welt macht sich noch ein letztes Mal schön, und dann versinkt sie in Kälte und Tod. Ja, das ist so im Herbst, aber diesmal hatte es so etwas Endgültiges, als würde kein Frühling mehr kommen.
Als ich dieser Tage mit Andrea noch mal draußen war, auf der Bastei, da war es nur noch grau und kalt, wie erstorben.

Heute ist der 3. Tag meiner Chemotherapie. Ich bin müde. Aber es gibt Hoffnung. Überall in der Wohnung kleben Zettel mit dem Wort Hoffnung, von Andrea mit Buntstift gemalt. Hoffnung ist in der unglaublichen Welle an Zuwendung an Worten, an Gebeten, die mich umgeben. Hoffnung ist auch in den fortgeschrittenen Therapiemöglichkeiten, einschließlich Schmerztherapie. Hoffnung macht, dass ich heute endlich wieder die Kraft habe, mal eine Stunde am Rechner zu sitzen, um diese Zeilen zu schreiben.
Die Hauptsache aber: Hoffnung ist in Gott.
Der Raum hinter der Welt ist Sein Raum.
Davon demnächst noch mehr. Hier.



Samstag, 4. November 2017

Gott vergessen?

„Schweriner Bischof: ,Gott, den haben wir glatt vergessen‘“ – diese Schlagzeile von jesus.de spült es mir heute morgen in die Twitter-Timeline und erregt meine Aufmerksamkeit: Wenn ein Bischof sagt, wir hätten Gott vergessen, dann möchte ich gerne wissen, was dahinter steckt und wie er darauf kommt.
Die Lektüre der ersten Zeilen macht dann schon klar, dass die Schlagzeile in die Irre führt. Nicht wir haben seiner Meinung nach Gott vergessen, sondern die. Bischof von Maltzahn redet über die anderen, die da draußen, die Gott vergessen haben. Und wie es dazu kommen konnte. Wie ein Zoologe oder Ethnologe guckt er auf diese sonderbaren Menschen, die ohne Gott und ohne Religion gut leben: „Was erfüllt ihr Leben? Was trägt sie in Krisen und im Gedanken an den Tod? Wonach sehnen sie sich in der Tiefe ihres Herzens?“ – Ja, dann frag sie doch einfach, denke ich. Oder noch besser: Lass sie selber erzählen! Lade die ein, für die das Wir zutrifft, die wirklich von sich sagen: „Gott, den haben wir glatt vergessen“, und lass sie den Vortrag halten, den du da anbietest.
Ich weiß, das ist am Ende gar nicht so einfach. Weil du eher einen militanten Atheisten finden würdest, der in der Kirche gegen die Kirche spricht, als einen religiös Gleichgültigen, der gar kein Interesse hat, sich in irgendeiner Weise mit dir, mit uns auseinanderzusetzen. So bleibt wohl nicht viel mehr als das Mutmaßen über Wissenschaftsgläubigkeit und „das zum Ideal erhobene Leben fürs Private, für das nahe Umfeld ihrer Existenz“.
Wobei: Diese zitierte Formulierung hat mich aufmerken lassen. Denn: Vielleicht ist dieses Ideal – nahes Umfeld – so überhaupt nicht weit weg von dem, was Jesus Nächstenliebe nennt. Und nicht weit weg von unserer Erfahrung, dass wir im Privaten und im nahen Umfeld der Existenz als Kirche am meisten nachgefragt und geschätzt werden: bei familiären Anlässen, wenn ein Kind geboren wird, wenn ein junger Mensch erwachsen wird, wenn zwei sich zusammentun, wenn einer krank wird oder in Not gerät, wenn eine stirbt. Das wäre dann wohl auch der Ort, wo Gott (wieder) wichtig sein kann.


Eine ganz andere Spur wäre es, den Satz von Bischof von Maltzahn ernst zu nehmen, so wie er zitiert wird: Sind wir – Christen, Kirche – vielleicht am Ende diejenigen, die Gott vergessen haben? Jedenfalls leben und handeln wir zum größten Teil so, als ob es ihn nicht gäbe... Ich meine damit diesen funktionalen Atheismus, der organisiert und tut und redet, als ob alles von uns abhinge. – Das tut es nicht. Und das ist doch eigentlich das Evangelium!