Donnerstag, 19. April 2018

Wir leben!

Wir sterben.

Gestern Abend spät hat meine Frau diesen Satz in Facebook gepostet. Ohne erkennbaren Zusammenhang. Ich habe den Post erst entdeckt, als sie schon geschlafen hat. Und als sie dann noch mal aufwachte, habe ich eine Szene gemacht: Ich will nicht, dass du das so schreibst! Und dann hat sie ihn wieder gelöscht. Und gesagt: Aber es stimmt doch: Wir sterben.

Es stimmt, aber es stimmt auch nicht.

Es ist ein Satz, entstanden auf dem Hintergrund des gestrigen Tages.
Am Vormittag hatten wir ein Gespräch mit meinem Onkologen. Der Chirurg aus Dresden hatte geschrieben, dass er eine Operation auf Grund der letzten Befunde nicht für möglich hält. (Gerade hat mich auch der Chirurg aus Halle angerufen, den wir ebenfalls angefragt hatten, und hat diese Meinung bestätigt.)
Gestern Nachmittag hatten wir Besuch von einem Freund, der Arzt ist, Radiologe, und sich zusammen mit Kollegen auch sehr ausführlich mit meinen Befunden beschäftigt hat. Er hat es uns sehr deutlich erklärt, dass im Vergleich zum Vorbefund vom Februar die Dinge zwar relativ stabil sind, aber keine große Verbesserung eingetreten ist. Dabei seien diese Befunde, die ich zum Anlass genommen hatte, über Wunder zu sprechen, wahrscheinlich schon zu optimistisch interpretiert worden.
Nun scheint es also angeraten zu sein, diese Stabilität möglichst lange aufrechtzuerhalten. Was wohl auf weitere Chemotherapie (in milderer Form als bisher) hinauslaufen wird. Das Wort für jedes weitere Behandlungskonzept heißt: palliativ. Der Gewinn an Lebensquantität und die Erhaltung von Lebensqualität wird immer wieder abzuwägen sein...

Wir sterben.

Was mich an dem Post von Andrea gestört hat, waren gleich mehrere Dinge:

1) Der Satz für sich war nicht verständlich. Er könnte ganz allgemein gemeint sein, im Sinne von: Wir alle müssen mal sterben. Oder aber auch ganz akut: Wir gehen jetzt in den Tod. Oder irgendwas dazwischen. Aber eben mehrdeutig, verunklarend, statt aufklärend.

2) Das Wir hat mich gestört. Es geht jetzt gerade darum, dass ich sterbe. Ja, das betrifft Andrea und alle anderen mit. Aber anders. Sie sollen, sie dürfen nicht mit sterben, sondern dürfen, sollen und müssen weiter leben! Darüber hatten wir gerade noch am Nachmittag gesprochen.

3) Es gefiel mir nicht, dass ich nicht selber bestimmen sollte, wann und wie ich mit meinen Befunden und meinem Befinden in die Öffentlichkeit gehe. Darum schreibe ich jetzt lieber einen längeren Blogeintrag als einen kurzen, ominösen Facebook-Post.

Und 4) Das ist das Wichtigste: Dieser Satz darf nicht für sich stehen! Schon gar nicht, wo ich erst vor kurzem über den Vers geschrieben habe: Ich werde nicht sterben, sondern leben und des HERRN Werke verkündigen. – Was meine Hoffnung auf Heilung, die Chancen der chirurgischen Kunst und eine Wiederaufnahme meines Pfarrdienstes betrifft, lag ich in diesem Artikel wohl eher falsch. Aber darin, dass jedes Aufstehen am Morgen ein Stück Auferstehung ist, dass jeder Tag neues Leben und dass Christus die Hoffnung auf Leben ist, auch wenn wir sterben, das bleibt richtig.

Und das möchte ich viel lieber posten:

Wir leben!

Donnerstag, 15. Februar 2018

Wunder

Lange habe ich hier nichts hören lassen, das ganze Jahr noch nicht, und es ist schon Mitte Februar.
Die letzten Wochen waren zum größeren Teil nicht schön. Die Therapiezyklen haben mich über die Maßen mitgenommen. Ich habe wochenlang fast nur gelegen, gegen die Übelkeit gekämpft und geschlafen. Ich bekomme künstliche Ernährung direkt in den Blutkreislauf, weil das Essen oft schwer fällt oder ich einfach appetitlos bin. Jetzt gerade, zwei Wochen nach dem letzten Zyklus ist es wieder etwas besser. Ich esse wieder, mache Spaziergänge, sitze am Computer, oder empfange Besuch.

Schon lange wollte ich über Wunder schreiben.
Nach der Diagnose vor einem Vierteljahr haben manche geschrieben und gesagt, dass sie ein Wunder erwarten und erbitten. Denn Gott tut schließlich Wunder.
Manche haben auch Tipps gegeben, was ich für dieses Wunder tun müsste. Vor allem soll ja die Ernährung Wunder wirken; das ging  bis hin zu dem Hinweis auf König Hiskia (2. Könige 20), dessen tödliches Geschwür durch ein Feigenpflaster geheilt wurde; ich sollte also Feigen essen...
Ja, wenn das so einfach wäre: Krebs durch Feigen heilen! – Ob nicht auch bei Hiskia die Tränen, die Gebete, die Hoffnung, das Wort des Propheten und letztlich der Wille und die Macht Gottes ausschlaggebend waren?

Viele, viele haben immer wieder für mich gebetet. Und ein Pfarrer-Freund hat eine Krankensalbung vorgenommen:

Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen.
Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn.
Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden. (Jakobus 5,13ff).

Und ich habe weiter meine Therapie gemacht und die Hoffnung nicht aufgegeben.

Bei aller Erwartung eines Wunders war ich immer skeptisch. Nicht, dass ich das Gott nicht zutrauen würde, aber mein Blick war ein anderer: Warum sollte ich einen Anspruch auf ein Wunder haben, die Hoffnung auf eine göttliche Sonderbehandlung? So viele haben mehr zu leiden als ich, haben weniger Zeit zum Leben, haben weniger Glück und Gutes erfahren als ich. Wer bin ich, dass ich mehr als diese 53+ein bisschen Jahre haben müsste? Und Gott hat mich in diesen Jahren gebraucht und er tut es noch immer, wow! Also: Wenn er will, dass ich bald gehe, dann ist das so. Wenn er will, dass ich noch ein bisschen lebe, dann ist das aber auch so.

Und jetzt stehen wir vor einem Wunder.
Schon der CT-Befund am Jahresende war hoffnungsvoll. Der neueste Befund von vergangener Woche ist es erst recht: Die Metastasen sind quasi eingetrocknet und zugewachsen. Der Tumor selber ist kaum noch zu erkennen. Damit steigt die Hoffnung, dass er sich operativ entfernen lässt.
Wir haben uns entschieden, dass ich jetzt noch zwei Zyklen mit etwas größerem zeitlichen Abstand (vier Wochen) und leicht reduzierter Dosis mache; dann kommt der Chirurg ins Spiel.
Wir sind wahnsinnig dankbar und wieder hoffnungsvoll. Selbst wenn alles nicht endgültig hilft, so ist mir wohl einiges an Lebenszeit geschenkt worden. Ein Wunder!

Dieses Wunder hat auch einen Namen: FOLFIRINOX. Das ist das Therapieschema, das erst seit wenigen Jahren beim Pankreaskarzinom angewendet wird und das statistisch deutlich wirksamer ist als die herkömmlichen Chemotherapien.

Und damit bin ich bei den Wegen, auf denen Gott Wunder tut und die ich in meinem Leben schon häufig genug erfahren durfte. Es sind die Wege der wissenschafltichen Forschung und Erkenntnis, die Methoden der modernen Medizin, und damit meine ich die oft zu Unrecht als „Schulmedizin“ verunglimpfte evidenzbasierte naturwissenschaftliche Medizin inklusive Chemie und Pharmakologie. Ohne die wäre ich schon mehrfach gestorben: 1985 an einem durchbrochen Blinddarm, 1994 an einer ersten Krebserkrankung, 2011 an einem Herzinfarkt.
Schmerzlich berührt und richtig wütend gemacht hat mich vor etlichen Jahren das Schicksal eines Pfarrkollegen, der seinen Darmkrebs allein homöopathisch behandeln ließ und logischerweise sehr schnell verstarb, weil er das wunderbare Angebot der modernen Medizin ablehnte und sich auf lieber auf vorwissenschaftliche Scharlatanerie verließ.
Nein, das Wunder ist: Dass Gott den Menschen als seinem Ebenbild Schöpferkraft und Forschergeist gegeben hat, so dass sie die Möglichkeiten und Chancen entdecken können, die in der Natur vorhanden sind (und, ja, Chemie ist Natur!). Darüber kann ich nur staunen.

Unbeschadet dessen weiß ich, dass dieses Ergebnis nicht selbstverständlich ist. Unsere Möglichkeiten sind nach wie vor begrenzt und die gute Wirkung dieser Therapie ist nicht selbstverständlich. Darum sind die Gebete und guten Wünsche und auch die Krankensalbung genau so wichtig wie die moderne Medizin.

Und jetzt lasst uns einfach ein bisschen staunen, uns freuen und dankbar sein!

Sonntag, 31. Dezember 2017

Fürchtet euch nicht!

Gestern Nacht musste ich weinen. Das Jahr geht zuende, wir feiern Silvester, und ich weiß nicht, ob es der letzte Jahreswechsel ist, den ich erlebe. Aber ich will noch leben. Ich habe Angst zu sterben. Und die Vorstellung, wie alles weiter geht ohne mich und wie es sein wird für die, die mich lieben und die mir meine Hinterlassenschaften nachräumen müssen, tut weh.

Ich habe lange nicht geweint. Und das liegt nicht nur an der Kraft des Glaubens in mir. Gestern hatte ich vergessen, rechtzeitig mein Schmerzpflaster zu wechseln. Und das ist eben nicht nur gut gegen die Tumorschmerzen, es ist auch gut gegen Angst und Niedergeschlagenheit. Opioide helfen manchmal besser als das „Opium des Volkes“. Ich habe mir eine Pille gegen „Durchbruchschmerzen“ eingeworfen, und schnell war es wieder besser. Und doch: ich weiß nicht, was mit mir wäre, wenn ich diesen als Opium missverstandenen Glauben, die Hoffnung auf Gott nicht hätte – zusätzlich zu Schmerzpflastern und Pillen.

Es ist schon ein besonderer Jahreswechsel. Die letzten sechs Jahreswechsel waren alle gleich, zumindest sehr ähnlich. Andrea und ich standen auf dem Balkon, stießen mit Sekt an, küssten uns, sagten uns, dass wir einander lieben, und dass das auch im neuen Jahr so bleiben soll, wünschten uns, dass Gott uns segnen und führen möge und alles gut machen. Unten in Las Américas und Los Cristianos leuchteten die großen Feuerwerke, ein paar vereinzelte Knaller und Raketen zischten durch die Urbanisación Chayofa. Und wir hatten uns und die Hoffnung, dass es gut weitergehen würde, wie es bisher gut gegangen war.

Letztes Jahr wussten wir, dass in diesem Jahr alles anders werden würde. Wir waren auf Abschied gestimmt. Wo wir sein würden heute, nach einem Jahr, das wussten wir noch nicht. Obwohl es eine Pfarrstelle gab, auf die ich mich beworben hatte. Aber wir wussten es noch nicht, ob ich dort ankommen würde, und tatsächlich kam es dann auch anders.
Während wir auf Teneriffa schon Abschied nahmen, wussten wir bis April nicht sicher, wo unsere neue Heimat in Sachsen sein würde. Dann wurde es Hohnstein. Und Großenhain. Getrennte Arbeit und getrennte Wohnung in der Woche: neu, ungewohnt, nicht ganz das, was wir erhofft hatten. Und irgendwie doch gut.
Der Umzug, alles einrichten, vieles wegschmeißen und neu kaufen – Wochen zog sich das hin. Die neue Arbeit, der neue Dienst begann. Und vieles war gut: Offene Gemeinden, offene Herzen. Erwartungen. Hoffnungen. Pläne.

Und doch war von Anfang an etwas, das störte, schmerzte, irritierte, verstörte und, wie sich letztlich zeigte, zerstörte. Schmerzen, die sich schwer orten und schwer in den Griff kriegen ließen. Ich glaube, es war schon im August, dass ich meinem Amtsbruder Lothar Gulbins sagte, dass ich gesundheitliche Probleme habe, und die spürte ich immer wieder und sie schränkten mich ein.

Dann der 8. November, der Tag, der unser Leben in ein Davor und Danach geteilt hat. Die Diagnose: Pankreaskarzinom, Tumor der Bauchspeicheldrüse, Stadium T3N1M1. Die Perspektive: Lebensverlängernde Maßnahmen, palliative Chemotherapie, eine winzige Hoffnung, den Krebs so weit zurückdrängen zu können, dass er sich vielleicht sogar noch operativ entfernen lässt. Bis heute, weiß ich noch nicht, was die Therapie bis jetzt gebracht hat. Außer Müdigkeit, Übelkeit, Schwäche und dünnem Haar.
Doch: Diese Zeit hat noch manches mehr gebracht. Ein Zusammenrücken in der Familie und unter Freunden und Bekannten. Gespräche, die es sonst nie gegeben hätte. Besuche. Chats. Blogeinträge. Zeit. Eine Predigt, die durch die Kirchenpresse ging und viele bewegt hat. Glaube, Hoffnung, Liebe. Wenn ich daran denke, dann bin ich dankbar, zutiefst.

Wenn wir jetzt in das neue Jahr gehen, dann natürlich auch mit Angst und mit Trauer.

Ich denke an das weihnachtliche Fürchtet euch nicht! Das, was die Engel den Hirten sagen. Das, was Engel immer und überall sagen: Fürchtet euch nicht!

Angst und Furcht sind nicht dasselbe. Angst ist eine gute Sache, eine Funktion unseres Organismus, die uns vor Gefahren bewahrt: Wir gehen dem, was uns Angst macht, nach Möglichkeit aus dem Weg, oder wir kämpfen dagegen an.
Es ist ja viel die Rede von Ängsten, und oft werden Ängste nicht ernst genommen. Dann werden sie mit dem Verb „schüren“ verbunden. Als ob es nicht genug Dinge gebe, die uns Angst machen, ohne dass jemand diese Angst erst schüren müsste. Man kann Beängstigendes auch verschweigen, nur dass das dann zulasten der natürlichen Schutzfunktion der Angst geht. Nein, wer Ängste benennt und das, was Angst macht, weil es bedrohlich ist, beim Namen nennt, schürt keine Angst...

Aber das nur am Rande; ich mag jetzt nicht auf die Ängste in Bezug auf die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen eingehen, mit denen viele von uns ins neue Jahr gehen. Ich will darauf hinaus, dass wir berechtigte Ängste haben können und vielleicht müssen – so berechtigt wie meine Angst, das nächste Silvester nicht mehr zu erleben, oder meine Angst vor Schmerzen, Schwäche und davor, die Dinge nicht mehr zu schaffen und zu ordnen, die ich zu Ende bringen möchte.

Gottes Botschaft ist Fürchtet euch nicht! – Das ist eine andere Ebene als: Habt keine Angst! Es ist die geistliche Ebene, die göttliche Dimension. Es kann alles ganz schlimm werden, persönlich oder auch gesellschaftlich. Aber Gott ist da, dennoch, immer, auf alle Fälle, in Ewigkeit.
Mir kann am Ende nichts Schlimmeres passieren als zu sterben. Und dann bin ich in Gottes Hand. Endgültig. – Aber ich bin es auch jetzt schon. Darum sagt er: Fürchte dich nicht! Fürchtet euch nicht! Am Ende ist alles gut. In der Welt habt ihr Angst – ja, das stimmt, und es ist unvermeidlich – und trotzdem und gerade: Aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden! (Johannes 16,33)

Gestern Nacht musste ich weinen. Es war sicher nicht das letzte Mal. Und viele werden mit mir und um mich weinen. Und noch viel mehr werden weinen über das was ihnen und anderen widerfährt, und manchmal ist das weit schlimmer als eine tödliche Krankheit. Und wir werden Angst haben, Lebensangst und Todesangst. Aber Christus ist in die Welt gekommen, um uns bei aller Angst die Furcht zu nehmen und uns für immer und ewig mit Gott zu vereinen.
Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude.

Ich wünsche Ihnen und Euch allen für das Jahr, das kommt, die Furchtlosigkeit, die vom Himmel ist.


Sonntag, 24. Dezember 2017

Das Wort ward Fleisch.

Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.
(Johannes 1, 14)


Jesus besiegt die Dämonen der Sprachlosigkeit, habe ich vor sechs Wochen gesagt. Dieses Wort hat die Runde gemacht. Und trotzdem bin ich die letzte Zeit ziemlich sprachlos gewesen. Die Chemotherapien, die ich in der Zwischenzeit hatte, haben mich müde und schwach gemacht. Ich habe viel geschlafen und wenige Worte gemacht.

Um so dankbarer bin ich für die Fülle an guten Worten, die mich, die uns erreicht haben. Berge von Karten und Briefen liegen auf den Tischen und in den Regalen. Noch mehr Wünsche, Reaktionen, Gedanken und Worte kamen über Facebook, Twitter, WhatsApp. Freunde, mit denen ich seit Jahren oder Jahrzehnten keinen Kontakt mehr hatte, haben sich gemeldet. Ein guter Freund meldet sich fast jeden Abend im Messenger. Und eine gute Freundin ebenso in WhatsApp.
Viele haben uns besucht oder Besuche angekündigt. Wir sind alles andere als allein. Umgeben von guten Worten.

Und, ja, es ist so: Die guten Worte vertreiben die Dämonen. Erst recht und vor allem, wenn es Worte von Jesus sind, Worte der Glaubenszuversicht. Es ist kein Dunkel in uns und um uns. Das Meiste, von dem ich damals gesprochen habe – die Angst, der Zorn, der Zynismus, der Wehleidigkeit und der Selbstanklage – diese Dämonen haben sich verkrümelt. Meistens sind gute Mächte des Trostes und der Hoffnung um uns und in uns. Und das verdanke ich, verdanken wir den guten Worten, die um uns sind. Worte der Liebe und der Hoffnung, von Menschen gesagt. Und Worte, die an Gottes Wort erinnern, die inspiriert sind von seinem einmalig guten Wort – Jesus Christus.

Jesus ist das Wort, habe ich damals gesagt.
Und das ist schließlich auch die Weihnachtsbotschaft nach Johannes: Das Wort ward Fleisch.
Der Punkt in der Geschichte, der Sinn macht.

Ich möchte ein paar Worte teilen, die mich gerade heute erreicht und berührt haben.

Die Personaldezernentin der Landeskirche schrieb mir einen sehr persönlichen Weihnachtsbrief und zitiert darin die Worte eines Bekannten:
„Der Stern am Himmel und der Weg der Weisen kamen an einer bestimmten Stelle zusammen. Dort war Ursprung und Ziel zugleich. So etwas gibt es nicht oft, dass himmlische und irdische Wege ineinander gehen. Aber wenn, dann heißt es stehen bleiben und beten.“
Wir kennen diese Stellen, wo Ursprung und Ziel, Himmel und Erde sich berühren. Wir haben sie erlebt. Und wir erleben sie wieder.

Freunde aus Dresden schickten uns ihr Büchlein voller guter Worte, die sie verfasst haben. Als Motto haben sie hineingeschrieben:
Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen. (Römer 8, 28)
Sie waren fast etwas erschrocken, mir dieses Wort zuzumuten, das sie für sich als Leitwort gefunden hatten. Sie wussten nicht, dass das mein Konfirmationsspruch ist, den ich vor 39 Jahren für mich ausgewählt hatte. Er bedeutet mir unendlich viel. Meine seltsamen und wunderbaren Lebenswege haben immer zum Besten gedient. Ich bin überzeugt: Das ist auch jetzt so.

Und dann stand in diesem Büchlein ganz vorne noch ein gutes Wort von Vaclav Havel:
„Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal, wie es ausgeht.“
Die Gewissheit vom Sinn trägt mich.
Ich kann sie Gott nennen.
Ich kann sie mit der Geschichte von Jesus verbinden.
Dem fleischgewordenen Wort, dem Wort, das Sinn macht.


Auf diesem Wege sage ich Danke für alle guten Worte der letzten Wochen! (Ich kann einfach nicht alles einzeln beantworten.)
Danke für alle Gebete!
Danke für allen Zuspruch und alle Liebe!
Und ich grüße, auch im Namen meiner lieben Frau Andrea, alle Freunde, Bekannten, Leser dieses Blogs, Facebook-Freunde und Twitter-Follower ganz herzlich und wünsche, dass Euch und Sie zu Weihnachten gute Worte erreichen und berühren!


Sonntag, 3. Dezember 2017

Zeit

Schenk uns Zeit,
schenk uns Zeit,
Zeit aus deiner Ewigkeit!

Seit Tagen summt dieses Verschen in mir.
Passt ja auch: Zeit und Ewigkeit.
Eben war Ewigkeitssonntag.
Jetzt hat ein neues Kirchenjahr begonnen.
Es ist Advents-Zeit.

Und ich fühle mich beschenkt mit Zeit.

Das ist paradox. Schien mir doch gerade noch die Zeit wie abgeschnitten, radikal verkürzt auf – nun ja, sagen wir mal: Monate, die ich wahrscheinlich noch zu leben habe; mit besten medizinischen Erfolgen und viel Wunder-Segen noch wenige Jahre.

Aber stattdessen habe ich jetzt viel mehr Zeit als zuvor:

  • Zeit für Gespräche und Gedanken, hin und her, zum Teil mit Freunden, alten Bekannten, mit denen ich seit Jahren keinen Kontakt mehr hatte, und mit anderen, die mir schon immer nahe waren.
  • Zeit zum Lesen, Nachdenken, Beten.
  • Zeit zum Schlafen, Spielen, Spazierengehen, Seriengucken, Musikhören.
  • Zeit zum Reden, Schweigen, Lachen, Weinen, Scherzen, Herzen mit der Frau, die mir Gott in mein Leben gegeben hat.
  • Zeit, einfach da zu sein, dankbar fürs Da-Sein.
So müsste Advent sein, habe ich immer mal gedacht: Eine Zeit mit ganz viel Zeit.
Besinnlich, so wünschen wir uns das.

Für mich als Pfarrer war die Adventszeit selten besinnlich, und immer zu kurz.
Außer vor ein paar Jahren, als ich schon mal krank war im Advent.
Da habe ich einen Web-Adventskalender gemacht. (Leider ist der nicht mehr verfügbar.)
Dazu habe ich in diesem Jahr nicht genug Energie.
Aber das macht nichts.

Ich habe Zeit.
Zeit für mich, Zeit für andere, Zeit für Gott.
Zeit von Gott. Zeit aus Gottes Ewigkeit.
Das ist Gnade.

Ich wünsche Euch bzw. Ihnen, liebe Leser, ganz viel geschenkte Zeit in dieser kurzen Adventszeit.
Zeit, in der Gottes Ewigkeit aufleuchtet. 

Mittwoch, 22. November 2017

14 Tage hinter der Welt

14 Tage liegt sie nun zurück, die schlimme Nachricht vom Pankreaskarzinom.

Wenige Tage und eine Predigt später wusste ich, dass dieses Blog jetzt einen neuen Sinn bekommt. Hinter der Welt – das ist nicht der geografische Raum zwischen Fluss und Grenze, das ist auch nicht nur der metaphysische Raum hinter den Dingen; es ist jetzt für mich der Raum geworden zwischen Leben und Tod.

Vor 14 Tagen habe ich ihn betreten. Zuvor kannte ich ihn nur vom Hörensagen. Ich konnte es mir nicht wirklich vorstellen, wie es ist, wenn deine irdische Zukunft auf wenige Wochen, Monate oder Jahre eingedampft wird. Und du dir die himmlische Zukunft immer noch nicht wirklich vorstellen kannst.

Dabei gab es schon Ahnungen zuvor. Die Schmerzen und die Schwäche über Wochen und Monate hinweg, die lange nicht richtig diagnostiziert werden konnten, beunruhigten mich immer mehr. Und manchmal kam eine große Angst und Traurigkeit über mich.

Der 3. Oktober, Feiertag, war ein wunderschöner Herbsttag. Bis in den Vormittag hatte es geregnet, und dann kam die Sonne heraus, und ich machte mit meiner Frau einen Spaziergang in der Nähe von Hohnstein. Das Licht und die Farben waren unglaublich schön; ich habe seit langem mal wieder die Spiegelreflex mitgenommen.



Inmitten dieser herbstlichen Schönheit kamen mir die Tränen. Ich hatte das Gefühl: Die Welt macht sich noch ein letztes Mal schön, und dann versinkt sie in Kälte und Tod. Ja, das ist so im Herbst, aber diesmal hatte es so etwas Endgültiges, als würde kein Frühling mehr kommen.
Als ich dieser Tage mit Andrea noch mal draußen war, auf der Bastei, da war es nur noch grau und kalt, wie erstorben.

Heute ist der 3. Tag meiner Chemotherapie. Ich bin müde. Aber es gibt Hoffnung. Überall in der Wohnung kleben Zettel mit dem Wort Hoffnung, von Andrea mit Buntstift gemalt. Hoffnung ist in der unglaublichen Welle an Zuwendung an Worten, an Gebeten, die mich umgeben. Hoffnung ist auch in den fortgeschrittenen Therapiemöglichkeiten, einschließlich Schmerztherapie. Hoffnung macht, dass ich heute endlich wieder die Kraft habe, mal eine Stunde am Rechner zu sitzen, um diese Zeilen zu schreiben.
Die Hauptsache aber: Hoffnung ist in Gott.
Der Raum hinter der Welt ist Sein Raum.
Davon demnächst noch mehr. Hier.



Samstag, 4. November 2017

Gott vergessen?

„Schweriner Bischof: ,Gott, den haben wir glatt vergessen‘“ – diese Schlagzeile von jesus.de spült es mir heute morgen in die Twitter-Timeline und erregt meine Aufmerksamkeit: Wenn ein Bischof sagt, wir hätten Gott vergessen, dann möchte ich gerne wissen, was dahinter steckt und wie er darauf kommt.
Die Lektüre der ersten Zeilen macht dann schon klar, dass die Schlagzeile in die Irre führt. Nicht wir haben seiner Meinung nach Gott vergessen, sondern die. Bischof von Maltzahn redet über die anderen, die da draußen, die Gott vergessen haben. Und wie es dazu kommen konnte. Wie ein Zoologe oder Ethnologe guckt er auf diese sonderbaren Menschen, die ohne Gott und ohne Religion gut leben: „Was erfüllt ihr Leben? Was trägt sie in Krisen und im Gedanken an den Tod? Wonach sehnen sie sich in der Tiefe ihres Herzens?“ – Ja, dann frag sie doch einfach, denke ich. Oder noch besser: Lass sie selber erzählen! Lade die ein, für die das Wir zutrifft, die wirklich von sich sagen: „Gott, den haben wir glatt vergessen“, und lass sie den Vortrag halten, den du da anbietest.
Ich weiß, das ist am Ende gar nicht so einfach. Weil du eher einen militanten Atheisten finden würdest, der in der Kirche gegen die Kirche spricht, als einen religiös Gleichgültigen, der gar kein Interesse hat, sich in irgendeiner Weise mit dir, mit uns auseinanderzusetzen. So bleibt wohl nicht viel mehr als das Mutmaßen über Wissenschaftsgläubigkeit und „das zum Ideal erhobene Leben fürs Private, für das nahe Umfeld ihrer Existenz“.
Wobei: Diese zitierte Formulierung hat mich aufmerken lassen. Denn: Vielleicht ist dieses Ideal – nahes Umfeld – so überhaupt nicht weit weg von dem, was Jesus Nächstenliebe nennt. Und nicht weit weg von unserer Erfahrung, dass wir im Privaten und im nahen Umfeld der Existenz als Kirche am meisten nachgefragt und geschätzt werden: bei familiären Anlässen, wenn ein Kind geboren wird, wenn ein junger Mensch erwachsen wird, wenn zwei sich zusammentun, wenn einer krank wird oder in Not gerät, wenn eine stirbt. Das wäre dann wohl auch der Ort, wo Gott (wieder) wichtig sein kann.


Eine ganz andere Spur wäre es, den Satz von Bischof von Maltzahn ernst zu nehmen, so wie er zitiert wird: Sind wir – Christen, Kirche – vielleicht am Ende diejenigen, die Gott vergessen haben? Jedenfalls leben und handeln wir zum größten Teil so, als ob es ihn nicht gäbe... Ich meine damit diesen funktionalen Atheismus, der organisiert und tut und redet, als ob alles von uns abhinge. – Das tut es nicht. Und das ist doch eigentlich das Evangelium!