Donnerstag, 19. April 2018

Wir leben!

Wir sterben.

Gestern Abend spät hat meine Frau diesen Satz in Facebook gepostet. Ohne erkennbaren Zusammenhang. Ich habe den Post erst entdeckt, als sie schon geschlafen hat. Und als sie dann noch mal aufwachte, habe ich eine Szene gemacht: Ich will nicht, dass du das so schreibst! Und dann hat sie ihn wieder gelöscht. Und gesagt: Aber es stimmt doch: Wir sterben.

Es stimmt, aber es stimmt auch nicht.

Es ist ein Satz, entstanden auf dem Hintergrund des gestrigen Tages.
Am Vormittag hatten wir ein Gespräch mit meinem Onkologen. Der Chirurg aus Dresden hatte geschrieben, dass er eine Operation auf Grund der letzten Befunde nicht für möglich hält. (Gerade hat mich auch der Chirurg aus Halle angerufen, den wir ebenfalls angefragt hatten, und hat diese Meinung bestätigt.)
Gestern Nachmittag hatten wir Besuch von einem Freund, der Arzt ist, Radiologe, und sich zusammen mit Kollegen auch sehr ausführlich mit meinen Befunden beschäftigt hat. Er hat es uns sehr deutlich erklärt, dass im Vergleich zum Vorbefund vom Februar die Dinge zwar relativ stabil sind, aber keine große Verbesserung eingetreten ist. Dabei seien diese Befunde, die ich zum Anlass genommen hatte, über Wunder zu sprechen, wahrscheinlich schon zu optimistisch interpretiert worden.
Nun scheint es also angeraten zu sein, diese Stabilität möglichst lange aufrechtzuerhalten. Was wohl auf weitere Chemotherapie (in milderer Form als bisher) hinauslaufen wird. Das Wort für jedes weitere Behandlungskonzept heißt: palliativ. Der Gewinn an Lebensquantität und die Erhaltung von Lebensqualität wird immer wieder abzuwägen sein...

Wir sterben.

Was mich an dem Post von Andrea gestört hat, waren gleich mehrere Dinge:

1) Der Satz für sich war nicht verständlich. Er könnte ganz allgemein gemeint sein, im Sinne von: Wir alle müssen mal sterben. Oder aber auch ganz akut: Wir gehen jetzt in den Tod. Oder irgendwas dazwischen. Aber eben mehrdeutig, verunklarend, statt aufklärend.

2) Das Wir hat mich gestört. Es geht jetzt gerade darum, dass ich sterbe. Ja, das betrifft Andrea und alle anderen mit. Aber anders. Sie sollen, sie dürfen nicht mit sterben, sondern dürfen, sollen und müssen weiter leben! Darüber hatten wir gerade noch am Nachmittag gesprochen.

3) Es gefiel mir nicht, dass ich nicht selber bestimmen sollte, wann und wie ich mit meinen Befunden und meinem Befinden in die Öffentlichkeit gehe. Darum schreibe ich jetzt lieber einen längeren Blogeintrag als einen kurzen, ominösen Facebook-Post.

Und 4) Das ist das Wichtigste: Dieser Satz darf nicht für sich stehen! Schon gar nicht, wo ich erst vor kurzem über den Vers geschrieben habe: Ich werde nicht sterben, sondern leben und des HERRN Werke verkündigen. – Was meine Hoffnung auf Heilung, die Chancen der chirurgischen Kunst und eine Wiederaufnahme meines Pfarrdienstes betrifft, lag ich in diesem Artikel wohl eher falsch. Aber darin, dass jedes Aufstehen am Morgen ein Stück Auferstehung ist, dass jeder Tag neues Leben und dass Christus die Hoffnung auf Leben ist, auch wenn wir sterben, das bleibt richtig.

Und das möchte ich viel lieber posten:

Wir leben!