Donnerstag, 15. Februar 2018

Wunder

Lange habe ich hier nichts hören lassen, das ganze Jahr noch nicht, und es ist schon Mitte Februar.
Die letzten Wochen waren zum größeren Teil nicht schön. Die Therapiezyklen haben mich über die Maßen mitgenommen. Ich habe wochenlang fast nur gelegen, gegen die Übelkeit gekämpft und geschlafen. Ich bekomme künstliche Ernährung direkt in den Blutkreislauf, weil das Essen oft schwer fällt oder ich einfach appetitlos bin. Jetzt gerade, zwei Wochen nach dem letzten Zyklus ist es wieder etwas besser. Ich esse wieder, mache Spaziergänge, sitze am Computer, oder empfange Besuch.

Schon lange wollte ich über Wunder schreiben.
Nach der Diagnose vor einem Vierteljahr haben manche geschrieben und gesagt, dass sie ein Wunder erwarten und erbitten. Denn Gott tut schließlich Wunder.
Manche haben auch Tipps gegeben, was ich für dieses Wunder tun müsste. Vor allem soll ja die Ernährung Wunder wirken; das ging  bis hin zu dem Hinweis auf König Hiskia (2. Könige 20), dessen tödliches Geschwür durch ein Feigenpflaster geheilt wurde; ich sollte also Feigen essen...
Ja, wenn das so einfach wäre: Krebs durch Feigen heilen! – Ob nicht auch bei Hiskia die Tränen, die Gebete, die Hoffnung, das Wort des Propheten und letztlich der Wille und die Macht Gottes ausschlaggebend waren?

Viele, viele haben immer wieder für mich gebetet. Und ein Pfarrer-Freund hat eine Krankensalbung vorgenommen:

Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen.
Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn.
Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden. (Jakobus 5,13ff).

Und ich habe weiter meine Therapie gemacht und die Hoffnung nicht aufgegeben.

Bei aller Erwartung eines Wunders war ich immer skeptisch. Nicht, dass ich das Gott nicht zutrauen würde, aber mein Blick war ein anderer: Warum sollte ich einen Anspruch auf ein Wunder haben, die Hoffnung auf eine göttliche Sonderbehandlung? So viele haben mehr zu leiden als ich, haben weniger Zeit zum Leben, haben weniger Glück und Gutes erfahren als ich. Wer bin ich, dass ich mehr als diese 53+ein bisschen Jahre haben müsste? Und Gott hat mich in diesen Jahren gebraucht und er tut es noch immer, wow! Also: Wenn er will, dass ich bald gehe, dann ist das so. Wenn er will, dass ich noch ein bisschen lebe, dann ist das aber auch so.

Und jetzt stehen wir vor einem Wunder.
Schon der CT-Befund am Jahresende war hoffnungsvoll. Der neueste Befund von vergangener Woche ist es erst recht: Die Metastasen sind quasi eingetrocknet und zugewachsen. Der Tumor selber ist kaum noch zu erkennen. Damit steigt die Hoffnung, dass er sich operativ entfernen lässt.
Wir haben uns entschieden, dass ich jetzt noch zwei Zyklen mit etwas größerem zeitlichen Abstand (vier Wochen) und leicht reduzierter Dosis mache; dann kommt der Chirurg ins Spiel.
Wir sind wahnsinnig dankbar und wieder hoffnungsvoll. Selbst wenn alles nicht endgültig hilft, so ist mir wohl einiges an Lebenszeit geschenkt worden. Ein Wunder!

Dieses Wunder hat auch einen Namen: FOLFIRINOX. Das ist das Therapieschema, das erst seit wenigen Jahren beim Pankreaskarzinom angewendet wird und das statistisch deutlich wirksamer ist als die herkömmlichen Chemotherapien.

Und damit bin ich bei den Wegen, auf denen Gott Wunder tut und die ich in meinem Leben schon häufig genug erfahren durfte. Es sind die Wege der wissenschafltichen Forschung und Erkenntnis, die Methoden der modernen Medizin, und damit meine ich die oft zu Unrecht als „Schulmedizin“ verunglimpfte evidenzbasierte naturwissenschaftliche Medizin inklusive Chemie und Pharmakologie. Ohne die wäre ich schon mehrfach gestorben: 1985 an einem durchbrochen Blinddarm, 1994 an einer ersten Krebserkrankung, 2011 an einem Herzinfarkt.
Schmerzlich berührt und richtig wütend gemacht hat mich vor etlichen Jahren das Schicksal eines Pfarrkollegen, der seinen Darmkrebs allein homöopathisch behandeln ließ und logischerweise sehr schnell verstarb, weil er das wunderbare Angebot der modernen Medizin ablehnte und sich auf lieber auf vorwissenschaftliche Scharlatanerie verließ.
Nein, das Wunder ist: Dass Gott den Menschen als seinem Ebenbild Schöpferkraft und Forschergeist gegeben hat, so dass sie die Möglichkeiten und Chancen entdecken können, die in der Natur vorhanden sind (und, ja, Chemie ist Natur!). Darüber kann ich nur staunen.

Unbeschadet dessen weiß ich, dass dieses Ergebnis nicht selbstverständlich ist. Unsere Möglichkeiten sind nach wie vor begrenzt und die gute Wirkung dieser Therapie ist nicht selbstverständlich. Darum sind die Gebete und guten Wünsche und auch die Krankensalbung genau so wichtig wie die moderne Medizin.

Und jetzt lasst uns einfach ein bisschen staunen, uns freuen und dankbar sein!